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Mit einem starken inneren Vater zu mehr Sicherheit und Lebenslust

Martin Bertsch zeigt in diesem Artikel, wie wir mit biografischen Belastungen oder Bindungstraumata, einerseits einem fehlenden oder weitgehend abwesenden oder andererseits auch übergriffigen Vater trotzdem unser persönliches Glück mit einem starken inneren Vater finden können. (siehe auch Artikel zur inneren Mutter)

Frühkindliche Bedürfnisse und biografische Störungen

Schon Sigmund Freud wusste in den Anfängen der Psychologie, wie wichtig frühkindliche Prägungen für eine gesunde menschliche Entwicklung sind. Nicht allen von uns aber wurde das Glück zuteil, dass wir einen starken, präsenten und schützenden Vater erleben durften. 

Abwesende, nicht am Familiengeschehen involvierte Väter sind in unserer Gesellschaft gang und gäbe. Die Industrie und wachstums-wahn-besessene Wirtschaft entzog sie zunächst aus den Familien in die Fabriken, dann in den Krieg und schliesslich ins Büro. Viel zu oft war in unseren bürgerlichen Kleinfamilien die Mutter alleinzuständig für die Belange der Kinder. 

Der Umstand, dass es uns allen gleich erging, bedeutet nicht, dass diese Normalität auch gesund ist. Vielmehr kann vermutet werden, dass viele gesellschaftliche Herausforderungen ihre Wurzel in dieser Problematik haben. So habe ich an derer Stelle bereits hingewiesen auf Schwierigkeiten der Selbstermächtigung und Selbstdisziplin, die Grundlage einer Demokratie-Zerfalls sein können (>siehe hier). 

Aus dem Gefängnis unserer Biografie ausbrechen

Es erscheint mir wichtig, diese gesellschaftlichen Schatten in den Blick zu bekommen. Genauso wichtig ist es aber, diesbezüglich nicht in eine Opferrolle zu verfallen. Wir sind nämlich weit mehr als ein unveränderliches Produkt der eigenen Biografie. «Es ist nie zu spät eine glückliche Kindheit gehabt zu haben», meinte einst der selbst gesundheitlich gebeutelte us-amerikanischer Meister der Hypnose Milton H. Erickson. Er hatte erkannt, dass unsere Biografie eine Konstruktion unseres Geistes ist. 

Die moderne Neurobiologie hat zudem vestanden: Unser Gehirn bleibt bis zum letzten Atemzug veränderbar. Man spricht hier von Neuroplastizität. Wie können wir aber verpasste elterliche Zuwendung nacholen?

Verantwortung übernehmen, nachnähren und Neu-Beelterung (Reparenting)

So früh, wie die Psychologie die Wichtigkeit frühkindlicher Bindungen für die gesunde Entwicklung erkannte, beschäftigte sie sich auch mit der Frage, wie Menschen mit Bindungsstörungen oder Bindungstraumata unterstützt werden können. Ein Schüler Freuds, der ungarische Psychoanalytiker Sandor Ferenczi, brachte die Methode der Nachnährung auf. Demnach sollten Menschen, die zum Beispiel zu wenig schützende Zuwendung durch einen Vater erfahren haben, durch den Therapeuten oder die Therapeutin in dieser Hinsicht nachgenährt werden.

Später wurde in dieser Hinsicht der Begriff der Neu-Beelterung (Reparenting) eingeführt. Wenngleich zu Lebzeiten Freuds Ferenczi keine Anerkennung fand, gilt heute dieser Ansatz als zentrales Element in der Trauma-Therapie oder etwa der Schema-Therapie. Es geht darum, stärkende Impulse von inneren Eltern zu bekommen. 

Wenn ein Mensch zum Beispiel Sicherheitsbedürfnisse hat, ist ein wesentlicher Hindernis-Faktor für das gesunde Integrieren dieser Bedürfnisse eine unreife Abhängigkeit von seinem biografischen Vater. Ziel verschiedener Mann- oder Frau-Werdungs-Rituale in älteren Kulturen ist eine Wegmarke zu setzen, dass der Mensch nun eigenständig und erwachsen ist. Ein erwachsener, reifer Mann oder eine erwachsene, reife Frau haben sich aus der Bedürftigkeit des Kindseins den Eltern gegenüber befreit. 

Neue faszinierende Möglichkeiten der Selbstheilung durch einen starken inneren Vater

Ein erwachsener Mensch kann demnach sich selber Schutz- und Zuwendungsbedürfnisse zukommen lassen und hat sich aus der biografischen Verstrickung mit seinen Eltern herausgewunden. Das dieses Reifestadium unbewusst von den meisten Menschen nicht erreicht wird, führt im Leben der Betroffenen zu viel Leid und Verzweiflung. 

Eine Lösung besteht darin, sich selber Vater oder Mutter zu sein. Das heisst, einen inneren Vater oder innere Mutter anzuerkennen als Rücken-stärkende Instanzen. Viel zu oft wird heute vom inneren Kind, viel zu wenig vom inneren Vater gesprochen. Moderne hypnosystemische Ansätze wie das Integrale Tiefencoaching ITC bieten hier faszinierende Perspektiven der Selbstheilung, die wesentlich weitergehen als herkömmliche psychoanalytische Verfahren. 

Es geht beim ITC darum, sich mit seinen biografischen Eltern zu versöhnen und starke, nährende innere Eltern zu etablieren. Dies geschieht durch einen inneren Dialog und imaginative Familien- und Struktur-Aufstellungen im Zusammenhang mit Körper-Achtsamkeit. In Kursen oder Coachings kann diese Methode erlernt werden. Es ist eine faszinierende Reise zu mehr Selbstwirksamkeit und Heilung von inneren Wunden bei Bindungs- und Entwicklungstraumata.

Einen Einblick in das Gefühl für starke (innere) Eltern, die einem den Rücken stärken, ist etwa das Lied von Reinhard Mey und Freunde: ‚Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht‘.

‚Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht‘ von Reinhard Mey als Beispiel einer Eltern-Kraft. Glücklich, wer solche Kraft erleben durfte.