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Veränderung als Tanz mit dem Universum


Gespräch mit Martin Bertsch über Veränderung, elliptisches Bewusstsein, unternehmerische Lebenshaltung und Selbstwirksamkeit, neuronale Neubahnungen, Chaostheorie, Krisen und Quanten-Evolution und einem Veränderungstanz mit dem Universum.

Z. : Ich habe den Film (R)Evolution 2012 gesehen. Es gibt nicht wenige, die behaupten, dass in unserer Welt grössere Veränderungen anstehen.

Martin Bertsch: Ich möchte diese Frage nicht auf mögliche Zukunftsszenarien richten, sie führen uns rasch in spekulative Bereiche, weg von uns selber. Der Ausgangspunkt für Veränderungen sind wir. Gandhi meinte einst: Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.

Z. : Megatrends kannst du nichts abgewinnen?

Martin Bertsch: Es ist nicht uninteressant, sich selber im Kontext von gesellschaftlichen Veränderungen zu verstehen. Für mich ist es aber immer wichtig, in Bezug auf Veränderungen uns selber im Fokus zu behalten. Wir im Hier und Jetzt sind das Fundament dessen was wird.

Z. : Was hältst du von dieser Geschichte: „Ein Professor händigte die Unterlagen für das Abschlußexamen aus und verursachte einige Verwirrung bei den Studenten. Einer von ihnen sprang auf und rief aufgeregt: „Aber, Herr Professor, das sind ja die gleichen Fragen, die Sie uns bei der letzten Klausur gestellt haben!“ – „Stimmt“, sagte er, „aber die Antworten haben sich geändert“.“

Martin Bertsch: (lacht) Das erinnert mich an den Fim „Und täglich grüsst das Murmeltier“. Gerade hier wir dja Veränderung in der zeitlichen Statik sichtbar. Jemand erlebt den selbern Tag immer und immer wieder. Aber er geht anders damit um. Zunächst erschrocken, dann belustigt, später gelangweilt, schliesslich verzweifelt und dann wertschöpfend und wertschätzend. Dieser Film zeigt ein enormes Handlungsspektrum, und das in einer Welt, die oft schwer veränderbar wirkt.

Z. : Veränderung beginnt also nicht aussen, sondern innen. Ich erinnere mich an den Werbeslogan: „Veränderung beginnt in deinem Kopf“. Ein arabisches Sprichwort besagt doch auch so treffend: „Willst Du die Welt verändern, dann musst du Dein Land verändern. Willst du Dein Land verändern, dann musst Du Deine Stadt verändern. Willst du die Stadt verändern, dann musst Du Deine Familie ändern. Willst Du Deine Familie verändern, dann verändere Dich.“

Martin Bertsch: Genau. Nur scheint genau da möglicherweise die grösste Herausforderung drinzustecken.

Z. : Wie das?

Martin Bertsch: Es ist nicht einfach, eigene Komfortzonen zu verlassen, Grenzen zu sprengen. Veränderung heisst immer auch Abschied nehmen, das Althergebrachte verlassen. Veränderung ist immer auch Risiko, sich dem Neuen aussetzen. Veränderung braucht Mut.

Z. : Mut, der uns oft fehlt?

Martin Bertsch: Viele stecken fest in einer Mühle aus Traditionen, es gibt nichts neues, das Leben ist bloss die Wiederkehr des ewig selben. Sie brauchen keinen Mut. Dann gibt es die Unzufriedenen. Sie haben eigene Bedürfnisse und Wunschziele im Fokus. Ich nenne dies in Anlehung an gewisse Therapierichtungen elliptisches Bewusstsein.

Z. : Elliptisches Bewusstsein?

Martin Bertsch: Die Träumer haben einen Innenwelt-Fokus. Träumer sind nicht in erster Linie Visionäre, weil sie gar keine Kraft aus dem Leid der Welt schöpfen können. Sie leben in der Innenwelt als geschlossenem System. Auch Realisten leben in einem geschlossenen System: Ihre Welt ist einfach wie sie ist. Beides sind monozentrische Wirklichkeitswahrnehmeungen. Nur wer beides, die innere Welt der Wünsche und die äussere Welt der Gegebenheiten gleichzeitig im Fokus hat, wer eine Brücke über dieses Spannungsfeld baut, ist bereit für Veränderungen.

Z. : Was ist der Unterschied zwischen Veränderungsbereitschaft und tatsächlich eine Veränderung vollziehen. Jack Welch äusserte einmal: Die Veränderung hat keine Anhänger…

Martin Bertsch: Für viele, die nicht von Hoffnung getragen sind, öffnet sich hier eine Kluft der Angst. Es gibt ja viele gute Gründe, sich nicht zu verändern. Und Veränderung ist sozusagen eine hochschwellige Anforderung an uns. Es braucht ein kreativen Geist und auch eine unternehmerische Lebenshaltung. Nicht nur eine Haltung, auch eine unternehmerische Lebenskompetenz.

Z. : Viele Menschen sind nicht Ausgangspunkt von Veränderung, sondern lassen sich im Strom treiben, werden sozusagen von ihrem Umfeld in einen Veränderungssog gezogen.

Martin Bertsch: Nur Menschen mit einem gewissen Mass an Selbstwirksamkeit getrauen sich, Veränderung von innen heraus zu gestalten.

Z. : Was heisst das genau, Selbstwirksamkeit?

Martin Bertsch: Es ist das Gefühl dafür, dass ich selber Veränderung initiieren kann, dass ich selber etwas bewegen kann. Dieses Gefühl ist nicht selbstverständlich.

Z. : Was braucht es sonst noch, um Veränderung erfolgreich zu meistern?

Martin Bertsch: Veränderung beginnt mit der Sehnsucht, die sich wiederum aus einem Leidensdruck entwickelt. Das Kondensat einer Sehnsucht ist die Metapher einer Vision. Nüchtern können wir auch von Projekt-Endzielen sprechen. In Anlehnung an Christian Morgenstern kann man sagen, dass, wer das Ziel nicht kennt, auch den Weg nicht finden kann.
Dann stellt sich sehr schnell die Ökologie-Frage: Ist der Nutzen höher als der Aufwand? Dieses Austarieren geschieht meist unbewusst und führt zu Entscheidungen und Verpflichtung seinen Zielen gegenüber. Ich glaube aber auch, dass eine erfolgreiche Veränderung Probleme, Schwierigkeiten braucht.

Z. : Warum braucht es dazu Schwierigkeiten? Ist das nicht lästiges Beigemüse?

Martin Bertsch: Neurobiologisch gesehen entsprechen Veränderungen neuronalen Neubahnungen. Wir schlagen uns im neuronalen Dschungel sozusagen einen neuen Trampelpfad und verlassen die Gewohntheits-Autobahnen, die in unserem Kopf angelegt sind. Wann geschieht dies? Wie wird das möglich? Das ist ein interessanter Punkt: Es wird gemäss dem Neurobiologen Gerlad Hüther möglich, wenn entsprechende neuroplastische Botenstoffe im Gehirn ausgeschüttet werden. Dies geschieht bei emotionaler Erregung. Veränderung braucht deshalb auch ein gewisses Mass an Irritation.

Z. : Wie erlebst du Veränderung bei deinen Kunden?

Martin Bertsch: Das ist eine spannende Geschichte und führt mich zu meinem persönlichen Erleben von systemtherapeutischen, oder noch krasser formuliert von chaostheoretischen Aspekten: Entwicklung ist kein linearer Prozess. Veränderung geschieht sprunghaft. Es gibt Konsolidierungsphasen und Entwicklungsphasen.

Z. : Entwicklungsphasen müssten wir dann als Phasen verstehen, wo viel in Bewegung ist. Wir sagen ja oft im Volksmund: „Da kommt wieder einmal alles zusammen!“

Martin Bertsch: Wir sprechen hier von sogenannten Krisen. In unserer vielerorts angstbestimmten und auf Beständigkeit bedachten Kultur eilt ihnen ein schlechter Ruf voraus. In entwicklungsoffenen Systemen würde man sich freuen über eine zeitdichte Veränderungs- und Entwicklungschancen.

Z. : Interessant. Aber halten wir nochmals fest. Entwicklung, Veränderung ist nicht linear und geschieht sprunghaft.

Martin Bertsch: Es ist wie bei der Heisenberg’schen Unschärferelation. Die Qunatenphysiker haben erkannt, dass sich die Bewegungen der Quanten, der kleinsten Materieteilchen, nicht berechnen lassen. Man weiss nie so genau, was diese Teilchen tun oder wo sie sind.

Z. : Wenn wir das übertragen auf uns, scheint es damit nicht fast so, als ob ich selber dem Schicksal ausgeliefert bin?

Martin Bertsch: (lacht) Das ist eine knifflige Frage. Es hängt davon ab, wie ich mich selber und das Schicksal definiere? Bin ich nicht auch Teil des Schicksals, Teil von äusseren Wirkfaktoren, wenn auch nur unbewusst, via kolletivem Unbewussten, von dem ich ein Teil bin? (denkt nach) Ich glaube nicht an trennscharfe Linien. Ich glaube an graduelle Unterschiede. Mal steht mein Ich als Wirkzentrum im Fokus, mal äussere Wirkfaktoren. Sie bedingen einander, es ist eine Polarität.

Z. : Was heisst das für uns und unsere Lebensgestaltung?

Martin Bertsch: Wir brauchen Visionen, Ideen, Ziele, die unsere Wirkkraft bündeln. Wir brauchen aber auch eine Offenheit, um mit Zu-Fällen umzugehen. Als Trainer kann ich oft nicht dichte Lernmomente gestalten, wenn ich gar keine Vorstellung darüber habe, was ich vermitteln möchte. Wenn ich aber den Fokus zu stark hierauf lege, verliere ich das Publikum aus den Augen und auch hier kann nichts wirklich erhebendes geschehen. Wir sind eingeladen, in einen Tanz mit der Mitwelt, mit dem Universum einzustimmen.

Z. : Als Coach, Organisations- und Teamentwickler begleitest Du Veränderungs- und Changeprozesse professionell. Wie geht das vor sich?

Martin Bertsch: Als Verbandsmitglied vom Schweizerischen Berufsverband BSO bin ich angehalten, Ziele und Vorgehensweisen transparent zu machen. Dies bedingt Vorabklärungen, Auftragsklärungen. Von da weg sind die Rollen dann bedarfsorientiert sehr unterschiedlich: Mal bin ich Ideengeber, mal Moderator, mal der fragende Unwissende, mal aber auch jemand der Erfahrungen teilt oder unangenehme Aspekte ans Tageslicht befördert. Das ist die eine überblickbare Seite.
Ein Auftrag ist aber immer auch eine Wundertüte. Aus systemischer Sicht bin ich überzeugt, dass in unserem gemeinsamen Wirken oft auch eine höhere Intelligenz mitmischt. Hier verstehe ich mich als achtsamen Begleiter, der genau beobachtet und systeminterne Entwicklungsrichtungen, Schicksale, Zufälle und äussere Kräfte wahrnimmt und miteinbezieht. Es ist dann wichtig in einen Tanz einzustimmen, wobei das Team oder der Coachee die Führung übernimmt. Ich übernehme hier den Part der Frau, wenn man so will.

Z. : Ist es nicht etwas einfach, sich vom Kunden führen zu lassen. Darf der Anspruch der Kunden nicht weiter gehen?

Martin Bertsch: Als Coach und Moderator gilt immer auch eine gewisse Zurückhaltung. Meine Mutter sagte mir als Kind immer schmunzelnd: Der Mann ist der Kopf der Familie, die Frau der Hals, der ihn nach belieben dreht. So verstehe ich meine Rolle als Coach.

Z. : Vielen Dank für das Gespräch, Martin Bertsch.