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Lernen mit Herz

Lernen kann auch etwas mit uns selber zu tun haben. Erkenntnisse eines Trainers zum Thema Bulimielernen.

Ich muss mal wieder bulimielernen, damit ich den Lernstoff morgen in der Prüfung drauf hab“, steht als Beispiel im Duden zum Szenenwort Bulimielernen. Zur Bedeutung meint der Duden: „Lernen einer grossen Stoffmenge am letzten Tag vor einer Prüfung, so dass man diese höchstens in der Prüfung noch weiss und danach absolut vergessen hat“ Oder anders formuliert: reinfuttern, ausspucken, vergessen. Ist das alles, was heute vom Lernen übriggeblieben ist? Oder geht es auch anders?

Ich sitze im Zug. Mir seitlich gegenüber ein Mann und eine Frau in ein angeregtes Gespräch vertieft. Innerlich werde ich wach, Gesprächsfetzen steigern meine Aufmerksamkeit, die sich den beiden mehr und mehr entgegenrichtet.

Ich beginne damit, über diese zwei Menschen zu phantasieren. Gesprächsinhalte, geschätztes Alter, Kleidung… Wahrnehmungen fügen sich zu inneren Bildern: „Vielleicht sind es Sozialpädagogik-StudentInnen?“ vermute ich.

„Du, hast Du das letzthin verstanden?“ fragt der Mann und kramt in seiner schwarzen Umhängetasche. Er zückt einen grossen Bundes-Ordner mit sorgfältig farbig markierten Blättern und legt ihn auf das Tischchen unter dem Zugsfenster. Der Mann legt den Kopf schräg, so dass er im vor ihm liegenden Skript lesen kann und zeigt mit dem Finger auf eine Textpassage seines Skriptes: „Nennen Sie Aspekte vorbegrifflichen Denkens. Sind das die von Piaget beschriebenen finalistischen und artifiziellen Denkformen?“

Unsere Blicke kreuzen sich kurz und ich erstarre innerlich leicht. Es ist die schauderliche Erkenntnis, dass die Lerninhalte gar nichts mit dem Wesen dieses Menschen zu tun hat. Es sind zwei voneinander abgekoppelte Dinge. „Ich habe sowieso keine Zeit, hey, ich drücke mir das nur schnell in den Kopf rein, diese Theorie“. Mich schaudert’s: „Ja, genau“, denke ich mir, „das ist unser Problem mit der Formalisierung und Akademisierung gerade auch der sozialen Ausbildungen. Kundenseitig gefragt sind Mitgefühl, Lebenserfahrung, Lösungskompetenz. Ausgebildet werden Theorien, die sich so gar nicht verbinden wollen mit den Lernenden, die kalt und abstrakt für die kurze Dauer von Prüfungseinheiten möglichst schadlos in unsere neuronalen Gedächtnisstrukturen gehängt werden, um dann kurz darauf wieder spurlos zu verschwinden.“ Kennen Sie das?

Ich selber bin frustriert darüber, wie viel mir geblieben ist von all den Mittelschul- und Hochschul-Lernstoffen: Wie oft haben Sie im Alltag schon den Subjonctif verwendet oder die Trigometrie? Wie oft haben Sie andererseits schon Lerngrundlagen vermisst, die in den öffentlichen Ausbildungen so schmerzlich fehlen: Sozialkompetenz, emotionale Intelligenz, Glück und Lebenszufriedenheit… Eins steht für mich fest: Die Lernprozesse an der Universität waren für mich die Zeit in meinem Leben, wo ich am wenigsten gelernt habe. Traurig aber wahr! Wo keine Begeisterung ist, wird nichts gelernt. Weder bei mir noch bei den meisten Dozenten habe ich in dieser Richtung etwas gespürt. 

Als Trainer frage ich mich natürlich: Muss dies so sein? „Nein“, sage ich mit Inbrunst, fast schon wütend. „Es muss nicht so sein, es kann, nein, lernen muss ganz anders sein.“ In meinen Seminaren versuche ich mit all meiner Begeisterung für die Themen, für das Leben überhaupt, Menschen zu berühren und zu bewegen. Alles, alles möchte ich anklingen lassen. All die Freude, den Schmerz, das Interesse, das schier unendliche Durchdringen-Wollen von dem, wie die Welt für mich wirklich ist und vielleicht auch für andere, auf eine ganz individuelle, ganz eigene Weise sein kann.

Das ist für mich lernen: bewegen, bewegt werden, verunsichert, suchend, begeistert, enttäuscht, lebendig sein. Das Leben begegnen, mit allen Facetten. Das möchte ich, so möchte ich mich mit meinen kleinen Lernteams auf den Weg machen.

„Ja“, sage ich, „lernen kann, nein, lernen muss ganz anders sein.“ Viel Spass und vielleicht bis bald?

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