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Von einem harten zu einem weichen Leben


Die meisten Menschen stehen mit dem Leben auf Kriegsfuss. Die Walt Disney-Version dieses Lebensgefühls wird im ersten Teil des Zeichentrickfilms vom kleinen Indianerjungen ‚Little Hiawatha‘ trefflich dargestellt. Auf der wilden Jagd erbarmt er sich dann aber seiner Beute, eines kleinen Hasen. Als er selber zum Gejagten wird, erfährt er dann eine überraschende Hilfe… 

Natürlich: Keiner von uns geht mit Indianerfeder auf die Pirsch und auch kaum jemand jagd in der freien Wildbahn. Aber meist gehen wir doch sehr bestimmt durch das Leben: Wir kennen unsere Beute, wir wissen was wir wollen und, so wurde es uns eingepaukt: der Mensch soll Ziele haben. So streifen wir dann also durch das Leben und kennen unseren Zielberuf, planen unsere Karriere, wissen auch, wie unser Wunschpartner zu sein hat (man liest es in Anzeigen: blaue Augen und einen sportlich trainierten Körper)… Wenn es dann aber bei der Umsetzung happert, bleibt uns dann aber immer noch das positive Denken: Wenn wir uns genügend fokussieren, wird es, so die esoterische Lehrmeinung, dann auch eintreffen. Was aber, wenn nicht? Was aber, wenn ich mich nicht einmal genügend fokussieren kann? Habe ich dann versagt?

Schön zeigt diese Lebensweise auch der Spielfilm von Rocky Balboa, dem Sinnbild des harten amerikanischen Way of Life: Das Leben will dich in die Knie zwingen und es kommt nur darauf an, wieviele Schlänge du einstecken kannst. Tja, ein hartes Leben eben…

Wu Wei, das weiche Leben

Yin_yang.png

Bei all dieser Wünscherei ans Universum (Bärbel Mohr) und allen Resonanzprinzipien (Gesetz der Anziehung und Pierre Franckh) kam mir früh ein Gedanke auf, der mich immer mehr und mehr in den Bann zog: Was, wenn nicht nur ich Ziele habe für das Leben, sondern das Leben und die Welt auch Ziele für mich hat? Kenne ich sie, bin ich achtsam genug, sie zu erkennen, weich genug, mich von diesem Strom führen zu lassen, mich von diesem Lebensfluss tragen zu lassen?

Nun gut, sich im Leben treiben zu lassen steht nicht gerade hoch im Kurs. Es mag schwach klingen in unseren Ohren. Anders tönt es aber im Osten, im Daoismus (der Philosophie des Yin und Yang, siehe Bild links). Wu Wei bezeichnet hier das Nichhandeln, die Enthaltung eines gegen die Natur gerichteten Handelns. Die Daoisten gehen von einem umfassenden Ursprung und Wirkprinzip aus, vom Dao, das die Ordnung und Wandlung der Dinge bewirkt. Es wäre nicht weise, in das Walten dieses Prinzips einzugreifen. Die letzte Wahrheit ist gemäss dieser Lehre eins und handelt spontan, ohne dass der Geist des Menschen in sie eingreifen müsste. Die Rückkehr zum Ursprung kann nur erfolgen, wenn das dualistische Denken aufgegeben wird und die Handlungen natürlich und spontan, intuitiv erfolgen.

Wu Wei als Kraft des mühelosen Tuns wird sehr schön in folgendem Video von Edward Slingerland, Professor für Asian Studies, erklärt: 

Wu Wei bedeutet nicht, dass man gar nicht handelt. Es ist also kein fatalistisches Sich-Ergeben, sondern es bedeutet, dass die Handlungen spontan in Einklang mit dem Dao entstehen. Es soll das Notwendige getan werden, jedoch nicht in Übereifer und blindem Aktionismus, die als hinderlich betrachtet werden. Es soll leicht und mühelos getan werden, aus einem Zustand der inneren Stille, der zur richtigen Zeit die richtige Handlung ohne Anstrengung des Willens hervortreten lässt. Das Vollkommene wird im Daoismus als leer, weich und spontan gedacht und entsprechend sollte auch das Handeln sein: Ohne Eingreifen eines dualistischen Intellekts oder Verstandes. Es geht darum, einfach sich der Situation anzupassen und sich intuitiv zu verhalten. Im Daodejing heisst es:

„Niemals machen und doch bleibt nichts ungetan.“

Der vielschichtige Begriff von Wu Wei wird verständlicher in der Landschaft der Lebensmatrix. 

Wu Wei in der Lebensmatrix

Die Lebensmatrix ist eine innere Landkarte, die die Vielfalt des Lebens und unserer Selbst zu einer Ordnungsstruktur in einem Fliessmodell zusammenfügt. Die Farben des Regenbogens stehen für Vielfalt in der Einheit und Einheit in der Vielfalt. Der helle Mittelbereich steht für meinen inneren Wesenskern, das, was ich im Innersten wirklich bin: mein Bewusstsein. Der rote obere Bereich steht für Extraversion, auf der vertikalen Achse gegenüberliegend der grüne Bereich für Introversion. Auf der horizontalen Achse steht das dunkle blau-violett für den männlichen, proaktiven, intensionalen Anteil, der gegenüberliegende, gelb-orange für die weibliche, rezeptive, extensionale Seite. Das nachfolgende Archetypen-Modell fasst dies zusammen: 

Matrix Archetypen

Unsere westliche Welt hat eine intensionale Überbetonung, eben, eine kriegerische und machterfüllte, wenn nicht machtbesessene Attitüde der Welt gegenüber.  Jedwelche Einseitigkeit birgt aber Gefahren: Wenn der König keinen Zugang hat zum Dienst dem Volk gegenüber, wird er zum Tyrann und Despoten. Wenn der Krieger keine Vision und Weisheit entwickelt, wird er zum unberechenbaren Zerstörer. In allem ist eine Mitte, ein Gleichgewicht und Ausgleich gefragt. 

Lemniskate

Die Lemniskate, die liegende Acht, als Symbol der Unendlichkeit und Verbindung ist hier eine schöne Metapher. Es geht nicht immer darum, sich nach anderen auszurichten, sondern auch intensional Ziele zu entwicikeln. Doch soll dieser Bereich balanciert sein mit der Fähigkeit, sich auch anpassen und nach aussen hin orientieren zu können. Ziel ist eine situationsadäquate Aktivierung von allen Farb- Feldern und entsprechenden Modi in unserem Leben. Das nachfolgende Bild mit einer verbindenden Schwungbewegung in der Lebensmatrix symbolisiert eine vielfältige, lebendige, ausgeglichene Lebensführung, die mit dem inneren Kern (weiss) verbunden ist. 

Lebensmatrix mit SchwungformAuffällig ist die Pendelbewegung an die Peripherie, immer aber auch wieder, wie bei der Lemniskate, die Rückkehr zur Mitte, die Anbindung in der Mitte, die Anbindung an meinen innersten Wesenskern und mein Sein, die dem nächsten Schwung wieder Richtung gibt. Ein schwungvoller Tanz zwischen Aktion und Rekreation, Intension und Extension. In diesem Tanz verschmilzt Aktion mit Reaktion, Tun mit Nicht-Tun, Führen und Geführt werden: Spielerisch tänzerisches Tun im Nichttun, Wu Wei. 

Zunehmend mehr thematisieren auch amerikanische Filmproduktionen diese weiche Lebenshaltung, in der nicht ich allein bestimmend, sondern im Tanz mit einem Grösseren eingebunden bin. Der Film ‚Die Gabe‘ fokussiert nicht (wie zum Beispiel The Secret) das positive Denken mit der letztlich eben auch intensionalen Überbetonung, sondern wer ich schon bin und wofür ich gedacht bin (meine Mission). 

Der Spielfilm ‚Die Prophezeihungen von Celestine‘ thematisiert das geführt werden und eine achtsame Lebenshaltung:

Auch der Spielfilm „Shift, das Geheimnis der Inspiration“ von Wayne Dyer zielt in diese Richtung:

Wie im Wald-Disney Film eingangs kann uns das Leben, wenn wir weicher werden, tatsächlich auch leichter fallen, indem uns Hilfe zukommt, die wir vorher vielleicht in unserer Überfokussierung gar nicht wahrgenommen hätten. Diese Grundhaltung erfordert von uns Achtsamkeit uns selber und dem Leben gegenüber. Achtsamkeit, die sich aber unter dem Strich dadurch ausbezahlt, dass uns vieles leichter vonder Hand geht: Eben, von einem harten zu einem weichen Leben.