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Die Bedeutung des Ego für das Persönlichkeitswachstum

Das Ego spielt im Allgemeinen in Bezug auf das Persönlichkeitswachstum eine verkannte Rolle, denn es ist unbewusst. In spirituellen Kreisen wiederum hat das Ego einen schlechten Ruf. Zu Unrecht. Das Ego ist eine wichtige Komponente im Bereich des Persönlichkeitswachstums.

Selbst – Ich – Ego

Zunächst muss die Funktion des Ego in der menschlichen Psyche verstanden werden.

Das Ich und das Ego (lat. ‚Ich‘) sind unmittelbar miteinander verbunden. Das Ego ist der unbewusste Teil, der Schatten, des Ich. Das Selbst ist die leuchtende Sonne in unserem Inneren.

Das Selbst ist, was ich in Wirklichkeit bin: reines Bewusstsein. Ab einem reiferen Entwicklungsgrad des Menschen ist das Selbst direkt als innerer Beobachter oder Zeuge (Zeugenbewusstsein) erlebbar. Ich sitze da und tue etwas, das Selbst beobachtet mich dabei.

Das Ich ist der bewusste Teil von mir, den ich mir zuschreibe. Ich habe einen Körper, ich habe Gefühle, Gedanken, Triebe, Impulse, Empfindungen, Eingebungen… All das sind Bausteine meiner Individualität, als die ich mich erlebe und die mich von anderen unterscheidet.

Das Ego (bei Jung Persona) ist der unbewusste Teil des Ich, den ich nach aussen hin zeige. Das Ego versucht, dem Ich im Leben Vorteile zu verschaffen und nutzt dabei wie das Ich Gefühle, Gedanken etc. aber unbewusst (unbewusstes diskursives Denken, unbewusste Gefühle (Emotionen)).

Das Ego setzt sich als Anwalt unermüdlich ein und möchte für den Mandanten (das Ich) eine reine Weste behalten. Verantwortungen werden abgeschoben. Das Ego kann sogar eine Kriegs-Situation heraufbeschwören und unerbittlich, auch mit unlauteren Mitteln, kämpfen: Koste es, was es wolle.

Das Ego ist ein Herd der Unruhe, weil es für die Zukunft ständig etwas will oder Vergangenem nachtrauert. Das Selbst hat seine Existenz im Jetzt, das Ego in der Zukunft und der Vergangenheit.

Die drei menschlichen Teile können schematisch wie folgt dargestellt werden:

Selbst – Ich – Ego – Welt schematisch dargestellt

Michael Depner meint zum Ego: „Das Ego mag ein guter Diener sein, ein guter Meister ist es nicht.“ (Link ganz unten)

Ego-Reifung

Das Ich und das Ego sind bei der körperlichen Geburt noch nicht entwickelt. Sie treten erst im Laufe der Reifung ab ca. 2. – 3. Lebensjahr auf, wenn das Kind beginnt ‚Ich‘ zu sich zu sagen. Vorher würde es zu sich sagen: „Mia hat hunger.“

Wenn der Säugling schreit, wenn er Hunger hat (Bedürfnis aus dem Jetzt), ist das nicht aus einem egoischen Trieb, sondern aus einem animalischen Trieb heraus. Wenn das vierjährige Kind sich aber vor der Supermarkt-Kasse auf den Boden wirft und schreit, weil es Süssigkeiten (Schein-Bedürfnis für die Zukunft) bekommen möchte, ist das ein egoischer Trieb.

Mit der Ich-Festigung und -Reifung wächst auch das Ego. Es feiert seine Hochkonjunktur in der Lebensmitte. Mit zunehmender Reifung aber verliert das Ego und das Ich seine Bedeutung und öffnet sich mehr und mehr. Ein starkes Ich ist wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung. Das Ich oder Ego kann zu stark, aber auch zu schwach entwickelt sein. Spezifische Ich-Schwächen wiederum können zur Entgleisung des Egos führen und sind Ursache für psychische Erkrankungen.

Ego-Entwicklung im Kontext der Bewusstseinsentwicklung in der Lebensmatrix

Dynamische Multiplizität des Ego

Das Ego spielt im Leben eine höchst dynamische Rolle (Ego-States). Je nach Situation braust es auf und setzt sich durch, oder es wirkt schwach und möchte bemitleidet werden. Das Ego ist also nicht statisch. Ein gesundes Ich wie ein gesundes Ego nutzen das ganze Lebensspektrum. In der Persönlichkeitsentwicklung des Menschen kann es durch Einseitigkeiten zu Störungen oder psychischen Krankheitsbildern kommen, wenn das Ich sich einseitig entwickelt. Dazu ein Beispiel:

Jonas wächst in einer Eineltern-Familie bei seinem cholerischen Vater auf. Eine mütterliche Zuwendung und unterstützende Fürsorge kommen zu kurz. Das Ich von Jonas entwickelt in diesem Bereich eine Schwäche. Das Ego von Jonas versucht nun kompensatorisch andere zu bemuttern (Primärkompensation) und entwickelt eine Tendenz, latent andere zu übergehen (wie der Vater von Jonas, Sekundärkompensation). Diese polaren Mechanismen kann man in der Lebensmatrix als multipolarem Seelen-Modell sehr gut nachvollziehen. In Kursen und Ausbildungen lernen wir Schritt für Schritt, diese Schatten-Anteile bewusst zu machen und aufzulösen.

Ego und Kompensations-Strategien

Das Ego kann in diesem Sinne Einseitigkeiten oder „Eskalations-Stufen“ von verschiedenem Ausmass umfassen: Egozentriker (Neurotiker)- Egoist (Persönlichkeitsakzentuierung) – Egomane (Persönlichkeitsstörung).

Ego-Fallen

Vereinfacht kann die Vielfalt des Egos als unterschiedliche Formen der Angst beschrieben werden (oder aus der Sicht des Selbstes Kontraktionen).

Formen der Angst des Ego, Egofallen

Angst: Rückzug des Ich und die Angst vor der Angst. Sich erst gar nicht mehr zeigen

Gewalt: Ich über das Leid von anderen rücksichtslos hinwegsetzen.

Manipulation: Eigennützig Interessen durchsetzen.

Kritik: Urteile fällen und andere durch Kritik in den Schlamassel ziehen.

Wohllust: Der hedonistische Trieb der Lust-Maximierung.

Gier: Das Streben nach immer mehr.

Ohnmacht: Sich selber entmächtigen und blockieren.

Die Transzendierung des Ego

So wie es für die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen zunächst wichtig ist, ein gesundes Ich und Ego zu entwickeln, ist es für die zweite Lebenshälfte und spirituelle Entwicklung wichtig, diese Teile wieder loszulassen. Michael Depner beschreibt dies mit den vier Geburten des Menschen anschaulich und einfach:

  1. Körperliche Geburt: Sie ist einige Jahre nach der Geburt abgeschlossen, wenn der Mensch sich selber erhalten kann.
  2. Psychologische Geburt: Wenn ich selber unterscheiden kann, wer ich bin und gleichzeitig die Relativität meiner Sichtweise erkenne, bin ich psychologisch gereift.
  3. Soziale Geburt: In diesem Stadium bin ich autonom und unabhängig. Ich sehe andere nicht mehr als Werkzeug zur Erfüllung meiner Bedürfnisse.
  4. Spirituelle Geburt: Die spirituelle Geburt ist charakterisiert durch die Überwindung der Dualität, der Erkenntnis des Einsseins mit allem Leben.

Das Ich und Ego ist wichtig für die psychologische Geburt, besteht im Zeitraum der sozialen Geburt und darf transzendiert werden in der spirituellen Geburt. Eine spirituelle Entfaltung macht aus unserer Sicht erst Sinn, wenn eine persönliche Reifung durch eine psychologische Schattenarbeit stattgefunden hat.

Ganzheitliche Methoden der Transformation

Die komplexe Thematik des gesunden Persönlichkeitswachstums und des spirituellen Erwachens erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise, die Bereiche der Persönlichkeitspsychologie und Spiritualität vereint. Aus unserer Sicht scheitern sowohl dogmatische Religionen, die über die Köpfer der individuellen Schicksale hinweg predigen wie auch psychologische Konzepte, die eine spirituelle Lebensdimension nicht aktiv einbeziehen. Diese Verbindung ist fundamentales Thema der Integralen Theorie und der Methode des Integralen Tiefen Coachings ITC.

Literatur:

Depner, Michael: Identität und Identifikation