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Bürokratie und Menschlichkeit

Zufrieden schlendre ich auf dem Heimweg nach einem Kundenbesuch zurück in Richtung Tramhaltestelle. Schön, ein Tram steht gerade bereit, als hätte es auf mich gewartet. Ich beschleunige meinen Schritt, um es sicher zu erreichen. Drinnen sehe ich Menschen, einige ruhig wartend, andere gestenreich sprechend. Ich drücke den Tür-Öffner-Knopf: keine Reaktion. Nochmals, was ist da los? Ich versuche es bei anderen Türen und bewege mich fragend immer aufgeregter in Richtung Führerkabine. Schliesslich dort angelangt klopfe ich zaghaft fragend an die Scheibe. Der Blick des Tramchauffeurs ist stur nach vorne gerichtet. Dann, auf einmal kommt Bewegung in die geisterhaft erstarrte Szene: ein Klingeln, das Tram fährt plötzlich los. Verärgert frage ich mich: Warum hat der Tram-Führer die Tür nicht aufgemacht? Es kann gar nicht anders sein, er muss mich wahrgenommen haben. Aber warum, wenn es niemandem geschadet hätte, hat er die Tür in dieser halben Minute nicht geöffnet? Die Antwort: Da ist einer mehr, der sein Handeln nicht an den Menschen, sondern an Gesetzen ausrichtet, da ist ein Bürokrat am Werk.

Einer, wie sie dieser Tage oft in Büros sitzen, mit Entscheidungsgewalt, aber Gespür nur bis in die Tastatur unter den Fingerkuppen. Einer, mit Bildung, aber Sicht nur bis hinter die Plastikfolie des Computer-Bildschirms. Einer, mit logischem Denkvermögen, aber einer Werteorientierung, die nur bis zu dem reicht, was die Vorgesetzten von ihm erwarten. Sie, nicht Putin oder Obama, nicht Papst Franziskus oder Mark Zuckerberg sind die heimlichen Regenten der Welt und immer wieder bäumt sich etwas in mir auf, wenn sie in mein Leben einschlagen, wenn wiederum kreativ menschliche Lösungen für meine Kunden einmal mehr nicht möglich sind, weil sie nicht in die engen Schemata ihrer vorgefertigten Welt passen.

Es reicht nicht, die Wogen der lebenssprühenden Fasnacht an diese Mauer prallen zu lassen, denn bald sind die letzten Konfetti von der Strasse gewischt und die farbigsten Kleider wieder für ein Jahr mehr versenkt. Nein, diese Kraft der Veränderung greift zu wenig tief. Aber Hoffnung gibt es doch: Denn immer wieder begegne ich Menschen. Menschen, die, so sagte einst Patch Adams, vom Herzen weg nach unten nicht tot sind. Manchmal an Stellen, manchmal in Momenten, manchmal durch Zeichen, die man nicht erwartet. Die Kraft der Menschlichkeit, des gesunden, kraftvoll lebenssprühenden menschlichen Geistes. Lasst uns doch auch heute, wie und wo auch immer, wieder einmal mehr diesen Geist ergreifen und in uns wirken lassen.

Manchmal, wenn ich nun ein Tram erreiche und sich die Tür dann öffnet, scheint mir fast, als habe der Tram-Führer vielleicht noch einen kleinen Extra-Moment gewartet auf mich, als wolle er mir ein Zeichen geben, dass er mich wahrgenommen hat. Danke!

Ein spannendes Thema wie kaum ein anderes. Vielleicht haben auch Sie Geschichten dazu, um diese mit mir und uns in den Kommentaren zu teilen? Ich freue mich…