Grenzen des Case Management
Bei der Visions Schmiede steht der Mensch ganz im Zentrum, der Mensch mit all seinen Bedürfnissen, Sehnsüchten, Leidenschaften, Talenten und Grenzen. Die Visions Schmiede steht ein für ein klientenzentriertes Modell, das nach unserer Ansicht zentral ist für die Wirksamkeit einer Zusammenarbeit. Vielerorts und im öffentlichen Bereich nicht zuletzt unter dem Spardruck geht leider gerade dieser Fokus verloren. Ein kritischer Aritkel von Martin Mäder über die Entwicklungen im Bereich Case Management zeigt deutlich Gefahren und Grenzen auf.
Artikel aus „der arbeitsmarkt“
Quelle: www.derarbeitsmarkt.ch
Die Sozialversicherungen wenden Case Management falsch an. Dieser Meinung sind Exponenten aus der Sozialarbeit, dem ursprünglichen Einsatzgebiet dieses vielseitigen Handlungskonzepts zur individuellen Fallbetreuung. Wegen der Brisanz des Themas hat die Hochschule Luzern eigens eine Tagung veranstaltet.
«Das von den Versicherungen angewandte Case Management ist ein inhaltleeres Ablaufmodell.» Dies sagte Maria Solèr, Projektleiterin und Dozentin am Institut Sozialarbeit und Recht der Hochschule Luzern (HSLU), an der Fachtagung «Case Management in der Sozialen Arbeit – Herausforderung oder Überforderung?». Namentlich die fundierte Abklärung und die ganzheitliche Erfassung der Betroffenen kämen beim Case Management der Sozialversicherungen zu kurz, kritisierte die Expertin. «Die mangelnde Deklaration der Wissensbasis birgt Risiken hinsichtlich einer theoretischen und methodischen Verkürzung», lautete ihr Fazit.
Vielseitig anwendbar
Solche Aussagen erstaunen. Denn es ist unbestritten, dass sich dieses Konzept, das zwischen Klienten, Patientinnen, Institutionen und Leistungsanbietern vermittelt, nicht nur in der Sozialarbeit anwenden lässt. Dort wurde das Prinzip der koordinierten Hilfe erstmals in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den USA im Sinne einer Deinstitutionalisierung beziehungsweise Enthospitalisierung eingesetzt. Mit dieser Art der Fallbehandlung (englisch case = Fall) wollte man Hindernisse abbauen, Abläufe vereinfachen, Leerläufe verhindern und nicht zuletzt Kosten einsparen.
Mittlerweile hat diese Form der individuellen Betreuung in den verschiedensten Bereichen den Status eines scheinbaren Allheilmittels erlangt. Die Anwendungen reichen von der Arbeitsintegration und der Beschäftigungsförderung über das Gesundheits- und Pflegewesen bis hin zur Sozialversicherungsbranche. Gerade mit dieser breiten Streuung von Case Management bekundet die soziale Arbeit aber Mühe. Das Spektrum der Abneigung gegenüber diesem längst etablierten Konzept der vernetzten Unterstützung reicht von Misstrauen bis hin zur totalen Ablehnung.
Ungenügende Problemerfassung
Heute werde Case Management mehr im Sozialversicherungswesen als in der Sozialarbeit angewendet, sagte Verena Peter, Leiterin des HSLU-Instituts Sozialarbeit und Recht. In ihrem Votum kritisierte sie, dass im Case Management, so wie es die Versicherer handhaben, namentlich die Betreuung der Klienten zu kurz komme, da man dort über zu wenig spezifisches Know-how verfüge. «Man kann nicht einfach nur managen, sondern es sind die spezifischen Bedürfnisse zu ermitteln», so die Institutsleiterin.
Dass gerade fehlendes Wissen fatale Folgen für die zu Betreuenden nach sich ziehen kann, weiss auch Daniel Schaufelberger. Der Dozent und Projektleiter Case Management an der HSLU betonte, dass bei Personen, die mit Case Management unterstützt werden, «sich meist diverse Probleme miteinander stellen». So hätten solche Menschen oft nicht nur keine Stelle mehr, sondern sie seien häufig krank und nicht selten auch verschuldet. «Es geht darum, dass nicht nur das Nötige, sondern vor allem das Sinnvolle gemacht wird», wünschte sich der ausgebildete Sozialpädagoge.
Zeit und Kosten drängen
Nicht nur fehlendes Wissen kann den Erfolg von Case Management in der Praxis gefährden. «Akzentuiert wird die Problematik durch den Umstand, dass viele Versicherungsleistungen und andere Angebote zeitlich begrenzt sind», sagte Schaufelberger. Im Bereich der Arbeitsintegration komme erschwerend hinzu, dass «die Hilfe nur unkoordiniert und unstrukturiert erfolgt», es drohten deshalb Doppelspurigkeiten.
Die zeitliche Limitierung von Angeboten und Leistungen hat ihren Grund in den Kosten. «Überall dort, wo die Handelnden unter einem Budgetdruck stehen, kann Case Management zu Zielkonflikten führen», erklärte Daniel Schaufelberger. Er führte weiter aus, dass dort, wo Klienten Kosten verursachen, Case-Manager versucht seien, auf schnell realisierbare Lösungen zu drängen. «Das betrifft nicht nur die Versicherungen, sondern gerade auch die Sozialhilfe», betont der Experte. Schliesslich sei diese ebenfalls Bestandteil von Budgets der öffentlichen Hand und damit einer entsprechenden Kostenkontrolle unterworfen.
Zurück zur Arbeit
Teil eines solchen Budgets ist auch der Sozialdienst Basel-Stadt, der seit 2004 mit Case Management arbeitet. Im Rahmen einer ganzheitlichen Erfassung in der Klientenbetreuung können dort Menschen, welche von der Sozialhilfe der Stadt Basel wirtschaftliche Hilfe erhalten, als Ergänzung dazu von einer «koordinierten Unterstützung» mit Case Management profitieren. «Unser Hauptziel ist immer, die Menschen – sofern möglich – wieder in den Arbeitsmarkt zurückzubringen», sagte Annette Elbert, Leiterin des Teams Case Management im Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt des Kantons Basel-Stadt. Wenn bei der Analyse der physischen und psychischen Situation festgestellt werde, dass Klienten nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt zurück können, seien mit diesen individuelle und bedarfsorientierte Lösungen zu finden. «Weil wir nicht nur das Thema Arbeit beurteilen, sondern die gesamte psychosomatische Situation, können wir besser als früher einschätzen, wer überhaupt noch die Möglichkeit zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt hat», erklärte Elbert.
Dem Thema «zurück zur Arbeit» hat sich auch die Stadtverwaltung Zürich für die städtischen Angestellten verschrieben. Zur besseren Reintegration von erkrankten oder verunfallten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hatte man von Frühling 2005 bis Frühling 2006 in drei Dienstabteilungen das Pilotprojekt «Case Management am Arbeitsplatz» durchgeführt. Wegen der erwiesenen Wirkung wurde das Verfahren im Sommer 2006 auf die gesamte Stadtverwaltung ausgedehnt. Im Rahmen einer Bilanz stellte man nach vier Jahren fest, dass die Zahl der IV-Renten und die Langzeitabsenzen massiv abgenommen haben.
Druck auf die Betroffenen
Trotz dieser offensichtlich positiven Resultate der Stadtverwaltung Zürich gibt es auch zu dieser Anwendung Kritik aus der Welt der Sozialarbeit. «Es lässt sich nur schwer beziffern, ob Case Management im Bereich der Arbeitsintegration das optimale Instrument ist», sagt Markus Jasinski, Präsident von Avenir Social, der Standesvertretung der Professionellen mit einer Ausbildung in Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziokultureller Animation, Kindererziehung und Arbeitsagogik. Jasinski hat durch Gespräche in seinem Umfeld den Eindruck gewonnen, «dass zur Abwehr sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche – Arbeitslosenversicherung, Unfallversicherung, Krankenversicherung – das Case Management funktionalisiert und somit immer wieder ein zu hoher Druck auf die betroffenen Klientinnen und Klienten ausgeübt wird».
Für den Avenir-Social-Präsidenten sind die Erfahrungen mit Case Management im Bereich der Arbeitsintegration «nicht nur durchwegs positiv»: «Es gibt Menschen, die in eine Sackgasse geführt worden sind.» Sofern Case Management einen komplexen systemischen und interaktiven Anteil vertrete, der sozialraumorientiert sei, und zudem darauf ausgerichtet, das soziale System von betroffenen Menschen zu aktivieren, ist es für Markus Jasinski «ein absolut sinnvolles und angemessenes Vorgehen». Werde Case Management jedoch als Instrument der Disziplinierung eingesetzt, habe das Handlungskonzept hingegen «nur eine begrenzte Existenzberechtigung».